Scythe (Feuerland 2016)

“Sythe” (dt. Sense – auch hier) gilt als das perfekte Brettspiel. Dabei erweckt es zuerst einen trügerischen Eindruck! Eine abenteuerliche Landkarte voller Hex-Felder lädt zum Erkunden und zum Erobern ein. Das kann und das soll man hier auch (Area-Control bringt am Ende ordentlich Siegpunkte), aber es ist nicht der Haupt-Zweck der Sache. Wir haben hier – auch wenn es im ersten Moment den Eindruck erweckt – keinen Taktik-Titel, bei dem viel Hin und Her etwas brächten, und defensives Eingraben schon gar nicht. “Scythe” ist ein Rennspiel. Es geht darum, möglichst als Erster möglichst viele der möglichen Quest-Bedingungen und Aufgaben zu erfüllen – und nebenbei die meisten Siegpunkte (in Form von Geld) einzusacken. Und das ist – für bis zu 7 Spielerinnen – spielmechanisch so perfekt gelöst, wie es bis dahin als undenkbar galt.

In einem fiktiven Osteuropa nach dem ersten Weltkrieg ringen fünf (mit Erweiterung sieben) Nationen samt ihren Anführern um die Vorherrschaft. Da werden Arbeiter angeheuert, riesige Maschinen – Mechs genannt – konstruiert, Gebäude errichtet und Gebiete beansprucht, um an Eisen, Weizen, Holz und Öl zu kommen, und alles dreht sich um “die Fabrik” in der Mitte – ein sagenumwobenes Relikt einer Macht, die (ganz wie in “Sherlock Holmes – Spiel im Schatten”) die Völker der Welt gegeneinander hetzt. Ja: Kämpfen kann man auch, aber das kostet Stärkepunkte und – in der Regel – kostbares Ansehen. Wer zuerst sechs Wertungskategorien fertigstellt, beendet die Partie. Abgerechnet wird aber erst danach.

“Scythe” lebt unbestreitbar von seinem Flair. Illustrationen, Miniaturen, Hintergrundgeschichten und Begegnungen werden so lebendig wie sonst nur in wirklich guten Rollenspielen. Die Spielwelt fordert regelrecht zum Modden oder zu Fanfiction heraus. So entstanden erste Mini-Erweiterungen auch auf Initiative begeisterter Spieler-/innen; teures Zubehör (Metallmünzen, modellierte Rohstoffe, Spielplan in groß oder aus Isopren) verkauft sich wie geschnitten Brot.

Gegen die manchmal bemängelte Unausgewogenheit und Linearität helfen Legacy-Szenarien und Erweiterungen, neuerdings auch ein modularer Spielplan. Außerdem sollte es viele Partien dauern, bis wirklich für jede Kombination von Sonderfähigkeiten der optimale strategische Ablauf gefunden ist. Zufällige Gewinner-Twists und -Moves fordern die Runde eben zu spielerischem Können auf höherer Ebene heraus (seit “Die Siedler von Catan” als “sozialer Faktor” bekannt): Unerfahrene Spielerinnen können bevorzugt, zu weit fortgeschrittene gemeinsam eingedämmt werden.

Zum Trainieren empfiehlt sich übrigens die digitale Version; verschiedene Tabletop-Simulatoren hatten “Scythe” sofort im Programm oder wurden extra dafür designt. So steht sogar Fernpartien nichts im Wege, und dank “Automa” ist auch die Solo-Variante enthalten. Bei einer Spiele-Testwoche 2019 in Retzin wurde erst gar nichts Anderes mehr begonnen – “Scythe” füllte unsere Zeit vollkomen aus.

Rennspiel in fiktiver geopolitischer Umgebung

Personen: 1-7

Glück: 2 (Die Begegnungskarten wirken mitunter zu mächtig.)

Ausstattung/Flair: 5